Raum-Zeit-Strukturen
Margit Matthews und Dennis Merbach

Raum-Zeit-Strukturen
Margit Matthews und Dennis Merbach

Fotografie zieht Schnitte durch Raum und Zeit. Eine 1/100stel Sekunde, reduziert auf eine Blicklinie in einem dreidimensionalen Raum, abgebildet in zwei Dimensionen – ein Raum-Zeit-Schnitt. Es ist ihre Stärke und zugleich eine Schwäche: Auf der einen Seite hält sie flüchtige Momente fest und kann Vorgänge erkennbar machen, die für das Auge zu schnell ablaufen. Auf der anderen Seite reißt sie die Szene aus ihrem Zusammenhang.

Ein Bild sieht völlig anders aus als die Wirklichkeit, die es abbildet. Mal enthält es für das Auge nicht mehr fokussierbare Unschärfen, mal ist es durchgehend scharf und verschmilzt die Welt zu einer verwirrenden Ebene. Eigentlich ist es erstaunlich, dass wir solche Bilder scheinbar mühelos entschlüsseln und als Realitäten wahrnehmen.

Wir haben diese Betrachtung der Raum-Zeit-Scheiben erst erlernen müssen, durch Kindheit und Kunstgeschichte. Erkennbar wird das, wenn wir Kleinkinder oder Tiere beobachten, die nach Objekten auf dem Bildschirm greifen oder hinter diesen schauen wollen. Für uns Erwachsene brechen tauchen irritierende Risse in der Bild-Wirklichkeit auf, wenn neue Techniken wie 3D-Darstellung unsere gewohnten Wahrnehmungsfilter umgehen und für einen Augenblick die Grenze zwischen Bild und Wirklichkeit verschwimmen lassen. Etwa wenn ein 3D-Standbild trotz oder wegen seiner gesteigerten ‚Realität‘ viel starrer und lebloser wirkt, als eine zweidimensionale Aufnahme es jemals vermag. Oder wenn wir im 3D-Kino von der Handlung abschweifen, weil etwas im Hintergrund unsere Neugier weckt und wir für einen irritierenden Moment eine unscharfe Realität erleben.

Aber das ist nur ein vorübergehendes Phänomen. Wir werden neue Sehgewohnheiten und Wahrnehmungsfilter erlernen und bald nichts mehr davon bemerken.

Die Bildreihe MusicMoves von Dennis Merbach versucht, Bildgewohnheiten aufzubrechen, um Unfotografierbares ins Foto zu bringe: Musik und Bewegung. Selten wird die Beschränktheit des Mediums so augenfällig wie bei Konzertaufnahmen, stumm und lautlos eingefroren.

Durch Langzeit- oder Mehrfachbelichtungen und die Bewegung der Musiker entstehen Unschärfen, Doppelbilder und Lichtspuren, die ein kleines Stück Zeit|Struktur ins Bild zeichnen und die Musik wieder erahnbar machen.

Mit Warte|Räume greift Margit Matthews in ihren Bildern einen sehr realen Raum|Zeit|Schnitt auf: Die Unterbrechung des Lebens im Gefängnis, die Beschneidung des Raums, die aufgezwungenen Strukturen.

Fotografien aus einem aufgelösten Gefängnis halten Spuren dieses Lebens in der Zeitschleife fest: Bilder an Zellenwänden, Tagesstriche, Einblicke, Ausblicke, Drinnen und Draußen von Menschen und Vorstellungen. Objekte aus dem eingegrenzten/ausgegrenzten realen Gefängnisalltag tragen diese Beklemmung aus der Abbildung in die erlebbare Welt.

Unsichtbare Strukturen unserer Welt fängt In Vino von Dennis Merbach ein: Gebilde aus Licht, geformt durch Gläser und Wein. Fast jeder hat sie schon gesehen, bemerkt haben sie die wenigsten: Lichtmuster, die eine Kerze und ein Weinglas auf das Tischtuch zeichnen. Sie sind mehr als nur Schatten. Lichtbrechung und Reflexionen erzeugen dreidimensionale Raum|Strukturen aus Lichtstrahlen, von denen wir nur einen Raum|Schnitt sehen können, wenn er auf einer weißen Tischdecke oder Serviette mit dem Schatten des Glases zusammenfällt.

Mit dem Thema Geborgen von Margit Matthews werden Strukturen im Verborgenen aufgespürt und auf unterschiedliche Weise interpretiert und abgebildet. Pflanzen in voller Kraft oder bereits dahinwelkend offenbaren Details die sich dem Betrachter erst über die Fotografie erschließen. Dabei erscheinen die realen Objekte verfremdet durch die Transformation der Abstrahierung und beflügeln so die Gedanken des Erlebnisses