Lied vom Meer
Anja Harms und Eberhard Müller-Fries

Lied vom Meer
Anja Harms und Eberhard Müller-Fries

Ein bisschen ist es wie heimkehren. Nicht, dass die Oberurseler Künstler Anja Harms und Eberhard Müller-Fries dem lieblichen Taunus jemals ernsthaft den Rücken gekehrt hätten. Vor Jahren aber sind sie geistig ausgezogen in Richtung Meer, und zwar dahin, wo das Meer kalt und kraftstrotzend ist, wo die Elemente und nicht die Menschen das Sagen haben. Im Jahr des 20jährigen Bestehens der Bad Homburger Galerie Artlantis zeigen sie in ihrer Ausstellung den Daheimgebliebenen Ausschnitte ihrer Seefahrer-Welt.

Anja Harms‘ und Eberhard Müller-Fries‘ ständiger Reisebegleiter ist die Literatur. Gedichte von Rainer Maria Rilke, Paul Celan, Johannes Bobrowski, Ingeborg Bachmann, Herman Melville, altenglische Elegien, aber auch die Gesänge aus dem finnischen Nationalepos „Kalevala“ stoßen bei ihnen etwas an, was sie in Farben, Formen und Strukturen übersetzen. Es entstehen Bilder, Maler- und Künstlerbücher. Und wenn den Farben Leben eingehaucht und die Strukturen widerborstig werden, dauert es nicht lange und die Formen entdecken in Buchskulpturen ihr Eigenleben.

Work in progress, so lässt sich vielleicht am ehesten beschreiben, was in Anja Harms‘ und Eberhard Müller-Fries‘ jüngster Arbeit „Seafarer“ passiert. Noch liegen die schiffsähnlichen Hölzer brav und makellos schön in ihren mannshohen Leporellos. Noch vermögen die Bücher ihre Geschichten zu halten. Was aber, wenn sich diese verselbständigen, wenn sich die Formen auf und davon machen? Was widerfährt dann den Seefahrern?

Anja Harms und Eberhard Müller-Fries vereinigen in ihren Werken zwei Künste. Anja Harms ist Buchkünstlerin, Eberhard Müller-Fries Bildhauer. Die eine schwelgt in Papieren aller Art, Format, Bleisatz, Typografie und arbeitet künstlerisch mit dem Faktum, dass man Buchdeckel auch schließt. Der andere schwärmt für Holz, Feuer, Größe und sichtbare Präsenz. Ihre gemeinsam erschaffenen Buchskulpturen leben von der künstlerischen und handwerklichen Aneignung des jeweils anderen. Sie denken zusammen, was sich ausschließt und eröffnen damit ganz neue Perspektiven.

Beide stellen aber auch Einzelarbeiten vor. Anja Harms zeigt eine Auswahl ihrer Künstlerbücher, die nicht verschlossen in Glasvitrinen liegen, sondern – auf angenehmer Augenhöhe hängend – zum Blättern einladen. Auch Eberhard Müller-Fries‘ Malerbücher fordern zum Begreifen und Entdecken auf. Andächtiges Verharren und eindimensionales Sehen ist in dieser Ausstellung fehl am Platz. Wer sich der Kunst von Anja Harms und Eberhard Müller-Fries nähern möchte, muss im Kopf und in der Phantasie beweglich bleiben. Sonst sind die Lieder, die die beiden vom Meer in den Taunus tragen, nicht zu hören.