Georgia Templiner
Die Grafikerin und Malerin Georgia Templiner, geboren in Bad Homburg, lebt und arbeitet in Würzburg. Seit über 25 Jahren steht der Mensch im Mittelpunkt ihres Schaffens. Es entstanden abstrakt-figürliche Arbeiten, die Ausdruck ihrer Gefühlswelt sind und sich auf das Innere beziehen. Spontan und emotional, mit großer tempramentvoller Gestik und gekonntem zeichnerischen Strich schaut Sie hinter die Fassade der Äußerlichkeit und zeigt Menschen, zermürbt, zerrissen, aufgeklappt wie auf Röntgenaufnahmen, verletzlich, zerbrechlich und doch, durch energische Striche mit dem Spachtel, stabil und wettergegerbt in ihrer Empfindlichkeit.
Gerade im Versickern, im Verwischen, im Transparentwerden der Farbe erfasst sie Bewegungen, Zeitlichkeit, Abläufe und damit das Werden und Vergehen in ihren Arbeiten. Die Arbeiten verkörpern Verletztlichkeit, Trauer, Wut, aber auch Kraft, Lebendigkeit und Lust. Auch in der Fotografie tauchen einzelne Körperteile wie Hände oder Füße aus dem verschwommenen Hintergrund in den beleuchteten Fokus auf. Die Körper bleiben vage, durchscheinend und transluzent. In den letzten zehn Jahren wurde die Installations- und Objektkunst zunehmend wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. Das Thema „Kokon“, taucht immer wieder auf, als Symbol für Werdendes, für sich Entwickelndes. DerKokon mutet auch an wie eine Mumie, so dass Leben und Sterben gleichermaßen darin Platz finden. Die Objekte der Künstlerin sind entweder schalenartig und hart (geschöpftes Papier und Gips) oder transparent und durchscheinend (Tesafilm und Wertstoffsäcke). Sie erinnern an Muscheln, Reptilienpanzer, Larven, aufgeschnittene Gespinnsthüllen.
Georgia Templiner stellt die Fragenpaare dazu in den Raum, war es Geborgenheit oder Gefangenschaft? Ist die Veränderung ein Verlust oder ein Schritt in die Freiheit? Bot die Hülle Schutz oder war sie doch vorrangig von der Erfahrung der Enge geprägt? In den Arbeiten geht es immer um ein Wechselspiel zwischen kontreter Form und Abstraktion und um die Nahtstelle zwischen Innen und Außen.
Text von Rolf Baltromejus zu den Arbeiten aus Georgia Templiners Ausstellung „Verkörperungen“
Die Ausstellung „Verkörperungen“ der multimedial arbeitenden Künstlerin Georgia Templiner zeigt Malerei, Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen. Man kann von einem Heimspiel sprechen, denn die 1961 geborene Templiner stammt aus Bad Homburg. Zum Studium wechselte sie jedoch nach Würzburg, wo sie sich an der Fachoberschule für Gestaltung zur Diplom-Kommunikationsdesignerin ausbilden ließ. Seit 1989 ist sie an ihrem Studienort freischaffend als Künstlerin tätig und erhielt dort im Jahre 2000 eine Atelierförderung. Seit den Folgejahren ist sie auch als Dozentin an der Würzburger Akademie für Gestaltung tätig.
Seit über 20 Jahren setzt die Künstlerin sich in ihren Werken schwerpunktmäßig mit dem menschlichen Körper auseinander. Im Kunstverein Artlantis wird ein großer Querschnitt ihrer Arbeiten gezeigt, der die kontinuierliche Weiterentwicklung ihrer eigenen Geschichte anschaulich macht. Die Werke sind abstrakt-figürlich; die dargestellten Menschen bleiben porträtlos und in ihrem Umriss zumeist vage. Was an äußerlicher Fassade erkennbar ist, wirkt wie zerschundene Körper, dargestellt mit fulminantem Pinselstrich in roher Optik.
Da die meisten Arbeiten „ohne Titel“ daherkommen, lassen sie viel Raum für eigenes Kopfkino. Trotz Gemeinsamkeiten im Inhalt wecken sie dabei ganz unterschiedliche Assoziationen. Bei dem Bild Nr. 28 etwa musste ich an die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo denken, die als Jugendliche einen schlimmen Unfall hatte, der sie ihr ganzes Leben lang ein Korsett tragen ließ und ungezählte Operationen erforderlich machte.
Kahlos Werk „Die gebrochene Säule“ aus dem Jahr 1944 zeigt die Künstlerin selbst mit geöffnetem Brustkorb; anstelle der Wirbelsäule sieht man eine steinerne Säule, die an diversen Stellen gebrochen ist. Der Körper wird nur durch weiße Bänder zusammengehalten. Auch bei Templiners unbetiteltem Werk sieht man in einen – allerdings schemenhaften – Körper hinein, den allein Bänder zusammenzuhalten scheinen. Sein Inneres, also die Gefühlswelt, wird durch die Öffnung nach Außen gekehrt.
Bereits an diesem Beispiel wird deutlich, dass sich Templiner mit einem jahrhundertealten zentralen Motiv aus Mythologie, Kunst und Religion beschäftigt, nämlich mit der Frage, wie körperliches Leid, Schmerzen und Schwäche zu überkommen sind. Diesem Motiv begegnet man auch in zahlreichen weiteren ihrer Arbeiten wieder.
Templiners Kunst beschäftigt sich aber auch mit menschlichen Beziehungen, Erwartungen und Seins-Zuständen und ist hierbei wiederum offen für Interpretation. Eine besondere Rolle spielt hier Sexualität, und zwar als Mittlerin zur Freiheit. Gut nachzuvollziehen ist dies besonders an den im roten Raum ausgestellten Bildern – Fotografien, die am Computer bearbeitet worden sind. Auf ihnen treten einzelne Körperteile aus einem nebligen Hintergrund deutlich hervor, kommen aber doch nie ganz an die Oberfläche: Man fühlt sich an ein Aufknospen erinnert. Die Künstlerin schafft es auf diese Weise, die Spannung aufrecht zu erhalten, indem sie dem Betrachter nur die Richtung andeutet, aber nicht das Ende des Weges zeigt.
Ein dritter, neuerer Werkkomplex weist wieder einen anderen Schwerpunkt auf. Die Rede ist von den „Kokons“, also den Skulpturen, die einerseits als Installation im roten Zimmer, aber auch als immer wieder auftauchende Einzelstücke einen roten Faden durch die Ausstellung ziehen. Sie wirkten auch mich sofort als Referenz zu dem Filmklassiker „Alien“ von Ridley Scott aus dem Jahre 1979.
In diesem Film erforscht die Crew eines Raumschiffs einen fremden Planeten; einer der Mitarbeiter wird beim Blick in ein kokon- oder eiähnliches Gebilde von einem Wesen angegriffen. Zunächst scheint die Attacke folgenlos – keiner weiß, dass der menschliche Körper als Brutstätte benutzt wird und sich das außerirdische Monster brutal seinen Weg aus dem berstenden Brustkorb freisprengen wird.
Der Begriff Kokon stammt von dem französischen cóque, was Eischale oder auch allgemein Gehäuse bedeutet. Begrifflich meint er also die bloße Hülle, die etwas verbirgt – nicht dagegen das im Inneren befindliche Ei oder die Puppe, die er verborgen hält. Er enthält Ursprung und Verwandlung; als Sinnbild der Transition wird er in der Ausstellung den fertigen Körpern entgegengestellt. So verschmelzen in der Kunst Templiners Alt und Neu.
Die Körper und Kokons haben dabei etwas Befremdliches und Verstörendes. Es wird offen gelassen, ob wir es mit Geborgenheit oder Gefangenschaft, Verlust oder Freiheit zu tun haben. Dieses Wechselspiel schafft in den Arbeiten Templiners eine besondere Spannung. Die Prozesse des Eindringens, Durchdringens, Austretens und Erwachsens werden durch die beschriebenen, höchst unterschiedlichen Umsetzungen visualisiert. Begierde und Gewalt halten sich dabei die Waage und machen „Verkörperungen“ nicht zu einer bloß schönen, sondern in jedem Wortsinne unheimlich schönen Ausstellung!